80 Jahre SPD in Völklingen – 1917 – 1997

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Völklingen im Ausgang des letzten Jahrhunderts

Völklingen (ohne Wehrden, Fürstenhausen, Geislautern) hatte 1895 eine Verdreifachung seiner Einwohnerzahl (von 3123 auf 10473) im Verhältnis zu 1872 erfahren. Das hing zweifellos zum größten Teil mit der Entwicklung der Völklinger Hütte zusammen, die 1881 von Karl Röchling erworben worden war und deren Belegschaft von 442 Personen im Jahre 1882 auf 2619 im Jahre 1897 stieg. Mit dem Bergbau, der Hütte, der Fenner Glasfabrik war die heutige Stadt zu einem Zentrum industrieller Entwicklung geworden. Die Zal der in den Werken Beschäftigten nahm zu und mit ihnen stieg die Einwohnerzahl, die 1917 dann fast 20.000, in der Bürgermeisterei mehr als 31.000 erreichte (Hüttenbelegschaft: 7317).

Es versteht sich, dass in einem solchen industriellen Ballungszentrum auch geballte soziale Probleme zu Tage traten. Im Verhältnis zu Bedürfnissen der oft kinderreichen Arbeiterfamilien waren die Löhne zu gering, die Preise zu hoch. Wohnungsnot kam dazu. Alle Probleme wurden dann noch verschärft, wenn wirtschaftliche Krisen auftraten.

1884 schrieb der damalige Völklinger Bürgermeister Stürmer dem Landrat in Saarbrücken, er habe noch „keinerlei sozialdemokratische Bewegung im hiesigen Bezirke“ wahrgenommen. Das sollte sich im gleichen Jahr ändern. Es war ein Reichstags-Wahljahr. In der Nacht vom 5. Auf den 6. Oktober wurden in Völklingen Flugblätter verteilt, die zu Wahl Wilhelm Liebknechts aufriefen. Darin wird als Ziel „die Verbesserung der allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Zustände“ angegeben; denn die „wirtschaftlichen Verhältnisse sind durch und durch ungesund; mit Ausnahme einer winzigen Minderheit leidet das gesamte Volk“.

In dieser Schrift, die als Datum „im September 1884“ angibt, stellt man eine Analyse der gesellschaftlichen Umstände vor, erläutert die Ursachen der Krisensituation, nimmt zur „Kaufkraft des Volkes“ Stellung, beklagt „schlechte Löhne und schlechten Verdienst“. Ein weiteres Thema ist die Bildungssituation. Es wird gefordert, dass der Elementarunterricht für die gesamte Jugend gleich und gemeinsam sein müsse. Wenn „die Kinder von Arm und Reich auf der selben Schulbank nebeneinander sitzen, sei dies „das sicherste Mittel, Kasten-Geist und Klassenstolz aus den kindlichen Gemütern fernzuhalten. Nach dem Elementarunterricht müssen die Fächer sich abzweigen, und es hängt dann von den Neigungen und Anlagen der Kinder ab, in welche Fach- oder Berufsschule sie einzutreten haben“.

Es geht also um die gleiche Bildungschance für die Menschen; unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Eine weitere Passage der Schrift ist den Produktionsverhältnissen gewidmet. Man bietet eine populäre Darstellung der Marx’schen Mehrwert-Analyse und resümiert, dass Besitzer der Arbeitsmittel, überhaupt den besitzenden Klassen, sich auf Kosten des arbeitenden Volkes bereichern. Dies müsse „durch die genossenschaftliche Arbeit“ ersetzt werden. In weiteren Passagen ist – offensichtlich Unterstellungen der politischen Gegner zurückweisend – die sozialdemokratische Position dargestellt, zu Fragen der Sozialreform, zu „Forderungen der Demokratie“. Es wird betont: „Sozialismus ohne Demokratie wird Kasernen- und Polizeisozialismus; Demokratie ohne Sozialismus ist Manchestertum.“ (Manchestertum war der Inbegriff brutalster kapitalistischer Arbeiter- und Kinderausbeutung.)

Das waren gewiss treffende Feststellungen, doch waren sie möglicherweise noch an der damaligen Denkweise vorbei getroffen. Und es kamen weitere Umstände hinzu, die weitere Aufklärung und Erklärung erschwerten oder unmöglich machen. Seit Oktober 1878 (bis 1890( war das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ in Kraft. Druckschriften, Versammlungen, Vereine konnte verboten, Druckern, Gastwirten usw. konnten die Konzessionen entzogen werden. Dieses Gesetz hatte die Verfolgung der Sozialdemokraten, ihrer Presse und jeder sozialdemokratischer Regung zur Folge, Bespitzelung und Denunziantentum setzte ein. Doch an den Wahlen konnte sich die Sozialdemokratie beteiligen.

In der Saar-Region wirkten noch schärfere Repressionen. Schon ein Jahr zuvor, 1877, hatten der Hüttenindustrielle Freiherr von Stumm (Neunkirchen) und der Chef der Saarbrücker Bergwerksdirektion Achenbach sich mit Vertretern sämtlicher Werke im Saarrevier getroffen. Sie gründeten ein „Komitee der Arbeitgeber zur Bekämpfung der Sozialdemokratie“. Sie verständigten sich auf einen Anruf und sie handelten danach:

  1. Es sollen keine Arbeiter auf den Werken geduldet werden, welche sich an sozialdemokratische Agitation direkt oder indirekt beteiligen, insbesondere:
    • Sozialdemokratische Blätter halten oder verbreiten;
    • An sozialdemokratischen Versammlungen oder Vereinen teilnehmen;
    • Wirtshäuser frequentieren, in welchen sozialdemokratische Versammlungen abgehalten oder Blätter dieser Richtung aufliegen.
  2. Arbeiter, welche Ausführung dieses Beschlusses entlassen werden, sollen auf keinem anderen Werke Aufnahme finden.

In die Saar-Region entsandte sozialdemokratische Parteivertreter und –journalisten wurden verhaftet und verurteilt. Auch nach Aufhebung des Sozialistengesetzes 1890 blieb die antisozialdemokratische Willkür-Vereinbarung der Saarindustrie in Kraft – faktisch bis zum Beginn des Weltkrieges. Die Industriellen bekamen ideologische Hilfestellung. Im August 1892 meldete ein Pfarrer Josef Stoelben dem Bürgermeisteramt Völklingen, dass „eine Versammlung des Volksvereins des kath. Deutschland zur Abwehr der Sozialdemokratie stattfindet. „Solcherlei Initiativen der katholischen Geistlichkeit zeigten gewiss entsprechende Folgen bei den meistens katholischen Arbeitern.

Damals wurde vom System der milden und der strengen Hand gesprochen, mit dem die Saarindustriellen „ihre“ Arbeiter und deren Familien beherrschten. Zur „milden Hand“ gehörte die Einrichtung von Schlafhäusern, die Förderung von Eigenheim- und Wohnungsbau und eine Reihe sozialer Einrichtungen (Krankenhäuser, Milchküchen, Badeanstalten, gewisse Bildungseinrichtungen u.a.).

Die „strenge Hand“ wurde am schärfsten durch Stumm in Neunkirchen und im Bergbau gehandhabt. Das Leben der Arbeiter und ihrer Familien wurde streng reglementiert. 1921 schrieb dazu Karl Gabel: „Das Sich-Einmischen der Firma Gebr. Stumm in die Angelegenheiten der Arbeiter auch außerhalb des Betriebes bedeutet die Übernahme von Polizei- und behördlichen Befugnissen und schuf jene dumpfe Atmosphäre, die bis zur Jetztzeit wie ein Alp auf dem Gemüt des Arbeiters lastete. Es schuf den psychischen Zustand, der sich wohl am besten mit der Einschüchterung des Kindes vor dem Stock des strafenden Vaters vergleichen lässt. Ein kriechendes, wohlgefälliges Wesen wurde allmählich Übung und vererbte sich vom Vater auf den Sohn.“

Unter solchen Bedingungen war es für die damaligen Sozialdemokratie äußerst schwer, in der Saar-Region Fuß zu fassen.

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